Fortbildung aus CHAZ 6/2023

Ralf Lobmann, Panagiota-Georgia Anastasiou, Stefan Dörr

Diabetes, Wunde und Demenz

Gemäß ICD-10-Definition ist „Demenz“ ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung höherer kortikaler Funktionen einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen, Urteilsvermögen i. S. der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt [1]. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Sym­ptome mindestens sechs Monate bestanden haben. Die Sinne funktionieren für die Person altersentsprechend im üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen [1].

Demenzerkrankungen sind wie chronische Wunden oder Diabetes ein relevantes und herausforderndes Problem für das Gesundheitswesen

Die Zahl der Demenzkranken wird in Deutschland aktuell auf zirka 1,2 Millionen Betroffene geschätzt. Diese Zahl sollte sich bis zum Jahr 2030 mindestens verdoppeln. Dies entspricht ca. 244 000 an Demenz Neuerkrankten pro Jahr in Deutschland. Bei jedem Vierten über 85-jährigen Menschen in Deutschland liegt eine Demenz vor. Rund 5,6 Milliarden Euro werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen im deutschen Gesundheitswesen für die Behandlung von Demenzen ausgegeben. Die Differentialdiagnostik der Demenzen unterscheidet in sekundäre (<10 %: Raumforderungen, toxisch, metabolisch, infektiös), vaskuläre (ca. 15–20 %: Multiinfarkt-Demenz, Mikroangiopathie, Amyloidangiopathie) und zehn bis 15 Prozent gemischtförmige (degenerativ/vaskuläre) Demenzformen. Die größte Gruppe bildet die rein degenerative Demenz mit zirka 60 bis 70 Prozent der Fälle. Hier tritt besonders häufig die Alzheimer-Krankheit mit 40 bis 50 Prozent, gefolgt von der fronto-temporalen Demenz (5–10 %), der Lewy-Körper-Krankheit (5–10 %) und der Parkinson-Demenz (1%). Weitere seltene Formen sind in der Summe unter zwei Prozent [1] (Abb. 1).

Gerade die Kombination von Demenz und chronischer Wunde hat Auswirkungen auf Morbi­dität und Mortalität der Betroffenen

Aktuelle Studien konnten hinsichtlich der medianen Überlebenszeit von Patientinnen und Patienten mit chronischen Druckulzera mit und ohne Demenz feststellen, dass diese bei Demenz-Betroffenen mit Ulzera signifikant auf 63 Tage reduziert war. Patientinnen/Patienten mit Dekubitus und ohne Demenz überlebten demgegenüber 117 Tage [2]. Dabei ist ein Diabetes bereits ein eigenständiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz insbesondere in Abhängigkeit von Diabetesdauer und Stoffwechselgüte: so liegt die Hazard Ratio (HR) bei fünf bis zehn Jahren Diabetesdauer noch bei 1,17; bei einer Diabetesdauer über zehn Jahren liegt die HR bereits bei 1,30 (p jeweils <0,05). Hinsichtlich des HbA1c findet sich im Bereich von 5–10 keine Signifikanz. Bei einem HbA1c zwischen 10 und 12 liegt die HR bei 1,2 und steigt bei Werten über 12 Prozent auf 1,32 an. Auch das diabetische Fußsyndrom gilt als eigenständiger und relevanter Risikofaktor für die Inzidenz einer Demenz mit einer HR von 1,99 [3]. In einer prospektiven Studie von Sela et al. mit 90 Patienten mit einem diabetischen Fußulkus zeigte sich ein besseres Überleben der Betroffenen, die zum Studienbeginn einen besseren Global-Kognitiv-Score aufwiesen [4]. Unter den Prädiktoren für eine Amputation bei Patientinnen/Patienten mit einem diabetischen Fuß zeigte eine multivariate Analyse für die Demenz eine Odds Ratio von 3,34 (0,9–12,39; p = 0,04) [5].

Abbildung 1_Häufigkeit der Demenzformen

 

Die Wundversorgung bei Demenz ist ein relevantes Problem

Die Koinzidenz einer chronischen Wunde mit einer Demenz ist besonders bei älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes – die durch ihre Grunderkrankung Diabetes ein erhöhtes Risiko gerade auch etwa in Abhängigkeit der erlebten schweren hyperglykämischen Ereignisse aufweisen – ein relevantes Problem in der sich ergebenden Wundversorgung. Probleme im Rahmen der Wundversorgung betreffen unmittelbar die Wunde und den Verbandswechsel, aber auch die Ernährungssituation, das allgemeine Verhalten des Betroffenen, das Schmerzempfinden und Probleme auf der Ebene der Kommunikation [6].

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